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Stahnsdorfer Damm 81
14532 Kleinmachnow
Industriekultur erleben
Wissenswertes
Dreilinden-Maschinenbau GmbH
Geheime Rüstungsindustrie
Ohne die Lichtmaschinen, Anlasser und Einspritzpumpen der Firma Bosch kann kaum ein Flugzeug der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg fliegen. Produziert werden die kriegswichtigen Motorenteile in einer geheimen Fabrik im Wald bei Kleinmachnow, unter dem Tarnnamen „Dreilinden Maschinenbau GmbH“.
Das Tochterunternehmen des Bosch-Konzerns steht beispielhaft für die strategische Aufrüstung der Nationalsozialisten. Da der Stuttgarter Raum im Kriegsfall schwer zu verteidigen erscheint, drängt das Regime den Konzern schon 1934 zu einer Ausweichfabrik weiter östlich im Reichsgebiet. Deswegen beginnt nur ein Jahr später die geheime Produktion bei Kleinmachnow. Die Anlage hier ist dabei nur eine von zwölf solcher „Schattenfabriken“ weiterer Unternehmen um Berlin – die Reichshauptstadt ist damals auch eine der wichtigsten NS-Rüstungsschmieden.
Schon vor Kriegsausbruch sind Arbeitskräfte bei der Dreilinden Maschinenbau GmbH knapp, danach erst recht. Zunächst freiwillig angeworbene „Fremdarbeiter“ aus ganz Europa werden bald als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Es folgen Kriegsgefangene und politische Häftlinge, zusammen ca. 1.800 Menschen. Mit etwa 760 aus Warschau verschleppten Polinnen stellen sie bei Kriegsende mehr als die Hälfte der 5.000 Beschäftigten. Währenddessen steigert die Dreilinden Maschinenbau GmbH ihren Geschäftsumsatz um das 47-fache.
Nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet die sowjetische Besatzung alle Bosch-Vermögenswerte in ihrer Zone. Das Fabrikensemble mit seinen Hallen in Klein-Machnow wird großenteils gesprengt und später neu genutzt. Während der deutschen Teilung fertigen hier bis 1991 mehrere Volkseigene Betriebe (VEB) unter anderem Aluminiumgussteile. In das bis heute erhaltene Eingangsgebäude zieht 1952 die Biologische Zentralanstalt der DDR. Nach der Wiedervereinigung übernimmt die entsprechende Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft die Räumlichkeiten – das heutige Julius Kühn-Institut.
Seit 2003 erinnern eine Plakette am Eingangsgebäude sowie die unweit gelegene KZ-Gedenkstätte am Stahnsdorfer Damm an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter der Dreilinden Maschinenbau GmbH.
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Heidefeld
14532 Kleinmachnow
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Gedenkstätte Bosch Zwangsarbeiterlager
Erinnerung an Kriegsverbrechen
Ab 1941 befindet sich in der Nähe des Teltowkanals ein Barackenlager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter der Dreilinden Maschinenbau GmbH, einem Tochterunternehmen des Bosch-Konzerns. Lichtmaschinen, Anlasser und Einspritzpumpen von Bosch stecken damals in fast allen Maschinen der deutschen Luftwaffe. Insgesamt 2.600 Zwangsarbeitende aus ganz Europa müssen bei der nahe gelegenen Dreilinden Maschinenbau GmbH Flugzeugteile für die deutsche Luftwaffe fertigen.
Im Barackenlager sind anfangs zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter untergebracht. Später kommen politische Häftlinge und Kriegsgefangene aus ganz Europa dazu. Diese Gruppe wächst in den Kriegsjahren auf über 1.800 Personen an. Nach dem Warschauer Aufstand 1944 kommen noch etwa 760 polnische Frauen aus dem KZ Ravensbrück hinzu. Zusammengepfercht in fensterlosen Kellerräumen unter der Halle K 24 am Stahnsdorfer Damm Nr. 81 bilden sie ein Außenlager des KZ Sachsenhausen. Die verschleppten Polinnen arbeiten in wechselnden Zwölfstundenschichten, Tag und Nacht. Abgeschnitten von der Außenwelt wissen sie nicht, dass in dem nahegelegenen Barackenlager noch viele weitere Menschen ausgebeutet werden. Mehr als die Hälfte der insgesamt 5.000 Beschäftigten der Dreilinden Maschinenbau GmbH sind Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Wer nicht mehr arbeiten kann, wird ins KZ Sachsenhausen geschickt, häufig in den Tod.
Nach Kriegsende verschwinden die meisten baulichen Zeugnisse des Barackenlagers. Erst mit engagierten Heimatforschern und der Berliner Geschichtswerkstatt beginnt in den 1990er-Jahren die Aufarbeitung. Zwar scheitert der Versuch, die letzte Lagerbaracke K 34 zu erhalten, 2006 aber kann die Gedenkstätte eingeweiht werden. Bänder aus Cortenstahl zeichnen seitdem die Konturen der letzten beiden Lagerbaracken vor Ort nach.
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Stahnsdorfer Damm 1
14532 Kleinmachnow
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Schleuse Kleinmachnow
Laufkatzen und Schleusenknechte
Am Westausgang des Machnower Sees errichten die Ingenieure des Teltowkanals, Max Contag und Christian Havestadt, bis 1905 das größte wassertechnische Bauwerk des Kanals: die Schleuse Kleinmachnow. Sie trennt die höhere Wasserhaltung der Dahme und der Spree (Oberhaltung) von der 2,74 Meter tiefer liegenden Havel (Unterhaltung). Zwei große Kammern – eine Nord- und eine Südkammer – ermöglichen den Auf- und Abstieg der Schiffe. Eine Auflage in der königlich-preußischen Baugenehmigung beeinflusst allerdings die Technik und Architektur dieser Zwillingsschleuse maßgeblich. Um mit der häufig geringen Wasserführung der Spree so sparsam wie möglich umzugehen, planen die Ingenieure sogenannte Sparbecken und besonders dicht schließende Hubtore. Für die teuren Tore mit ihren Torketten, Gegengewichten und Elektroantrieben entstehen deshalb die markanten Portalbauten am Oberhaupt (Spreeseite) und Unterhaupt (Havelseite).
Nach ihrer Fertigstellung läuft die Schleuse im zehnstündigen Betrieb unter dem Kommando des Schleusenmeisters. Aus der Schleusnerbude überwacht er, wie die Schiffe von den Treidelloks in die Vorhäfen geführt werden. Schleusenknechte machen die Schiffe dort an den sogenannten Laufkatzen, kleinen Elektroschlitten, fest. Nach Öffnung der Hubtore ziehen diese kleinen Elektroschlitten anschließend die Schiffe in die Schleuse. Danach reduzieren die Sparbecken mithilfe von Verbindungskanälen den Wasserverbrauch. Die Verbindungskanäle gleichen den Wasserstand zwischen den Kammern aus, erst dann wird Oberwasser aus der Spree ein- und abgelassen. Ein Schiff talauf, ein zweites talab – nicht länger als 30 Minuten braucht die Mannschaft für eine solche Doppelschleusung.
Ende der 1930er-Jahre gerät die Schleuse Kleinmachnow in den Fokus der nationalsozialistischen Kriegsvorbereitungen. Damit U-Boot-Druckkörper aus Berlin-Tempelhof an die Seehäfen gelangen können, müssen der Schleusengasthof samt Restaurantterrasse bis 1940 einer dritten, größeren Kammer weichen. Die ehemalige Nordkammer wird zur Mittelkammer. Unter großem Zeitdruck in Stahlspundbauweise mit einfachen Stemmtoren errichtet, ist diese neue Nord-Kammer allerdings keine drei Jahre in Betrieb. Aus Angst vor Bombentreffern wird sie wieder mit Kies verfüllt.
Die Nationalsozialisten verlegen die Verwaltung der Teltowkanal AG nach Kleinmachnow in Brandenburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg holen sich die westdeutschen Eigner die Kanalverwaltung wieder zurück nach West-Berlin. Damit provozieren sie das DDR-Regime, dem das Potsdamer Abkommen 1945 den Betrieb aller Berliner Wasserstraßen zugeschlagen hatte. Die DDR-Behörden revanchieren sich 1950 mit der Sperrung des Teltowkanals zwischen dem West-Berliner Stadtteil Rudow und Kleinmachnow. Damit wird auch die Schleuse stillgelegt.
In den 1970er-Jahren führen die Bundesrepublik Deutschland und die DDR Verhandlungen, um die Beziehungen zu normalisieren und praktische Alltagsprobleme zu lösen. Die Wiederöffnung des Kanals im Jahr 1981 kann als Teil dieser Strategie gesehen werden. Zusammen mit der Öffnung des Kanals geht auch die Schleuse Kleinmachnow mit der inzwischen freigelegten größeren Nord- sowie der Mittelkammer wieder in Betrieb. Die Südkammer steht für immer still.
Besuchende können sich die denkmalgeschützte Wassertechnik an Wochenenden und Feiertagen in der historischen Schleusnerbude erklären lassen. Bis heute finden täglich Schleusungen statt: ein interessantes Erlebnis, das viele Schaulustige anzieht.
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Stahnsdorfer Damm 19
14532 Kleinmachnow
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Wissenswertes
Triebwagen der Linie 96
Nachfahre der ersten elektrischen Straßenbahn der Welt (1881)
Max Contag und Christian Havestadt, die Ingenieure des Teltowkanals (1901-1906), haben einen gemeinsamen Wunsch für die Kleinmachnower Schleuse. Das „interessante, in schöner Landschaft aufgebaute Schleusenbauwerk auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen (…), denen nebenbei ein Stück modernen Verkehrslebens von Interesse ist“. Schon 1905 erfüllt sich dieser Wunsch, als die private „Dampfstraßenbahn AG Herrmann Bachstein“ ihre Trasse von Lichterfelde nach Teltow bis zur Schleuse in Kleinmachnow verlängert. Mit den dampfbetriebenen Bahnen besuchen Ausflügler nun täglich die Schleuse.
Damals, um 1900, steht Berlin für Innovationen in der Verkehrstechnik. Die AEG experimentiert mit Untergrundbahnen, während Siemens neuartige Hochbahn-Systeme über bestehenden Straßenverläufen erprobt. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist der elektrische Antrieb der städtischen Bahnen. Im 19. Jahrhundert ist der übrige Eisenbahnverkehr nämlich noch dampfbetrieben. Am 15. Mai 1881 ist es soweit. Siemens & Halske eröffnen die erste strombetriebene Straßenbahn zwischen der Kadettenanstalt in Lichterfelde und dem Bahnhof der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn.
Die private Dampfstraßenbahn AG geht 1906 in den Teltower Kreisbahnen auf, einem Eigenbetrieb des Landkreises. Nur ein Jahr später stellen die Kreisbahnen die Trasse zur Machnower Schleuse auf Elektrobetrieb um. Fortan fahren auch hier moderne elektrische Triebwagen von Siemens & Halske. 1914 besteht der Fahrzeugpark der Kreisbahnen aus 34 Triebwagen, 14 Beiwagen und sieben Arbeitswagen. Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 ersetzen die Verkehrsbetriebe in Ost und West die vorherige Straßenbahnlinie allerdings bis 1966 durch Busse.
An den Straßenbahnbetrieb in diesem Teil Berlins erinnert seit 2009 der Triebwagen Nr. 3587 neben der Schleuse. Er steht an der ehemaligen Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 96. Dieser sogenannte Mitteleinstieg-Triebwagen (Baujahr 1929) verkehrte bis in die 1960er-Jahre in ganz West-Berlin. Nach seiner Restaurierung betreibt ihn der Heimat- und Kulturverein Kleinmachnow e. V. als Infozentrum zur Geschichte des Verkehrs in der Region.
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Oderstraße 23-25
14513 Teltow
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Wissenswertes
Industriemuseum Region Teltow e.V.
Von der Dampfmaschine zur Digitalisierung
Das „Industriemuseum Region Teltow“ zeigt die Geschichte der Industrialisierung und des wirtschaftlichen Wachstums nach dem Bau des Teltowkanals von 1871 bis heute. Die Ausstellung umfasst Produkte aus verschiedenen Branchen der Region, von Porzellan bis Kunststoff (Polymerchemie). Zu den Ausstellungsobjekten gehören auch Steuerungsanlagen für Kraftwerke, die der VEB Geräte- und Regler-Werke (GRW) in Teltow jahrzehntelang fertigte.
Die Produktion endet nach der Wiedervereinigung in den 1990er-Jahren. Damit verschwindet auch das damals bekannte und identitätsstiftende GRW-Emblem aus dem Teltower Stadtzentrum. Aus diesem Anlass gründet sich 2003 ein Förderverein für das Industriemuseum. Der heutige Ausstellungsort ist eine frühere Produktionsstätte des VEB Zähler- und Apparatebau Teltow.
Seit 2019 geht es im jüngsten Ausstellungsbereich beispielsweise um Digitalisierung und die intelligente „Fabrik 4.0“. Das Museum gestaltet auch aktiv die Zukunft des Standorts mit. Als „Informationszentrum Berufs- und Studienorientierung“ vernetzt es seit Jahren junge Menschen mit der regionalen Industrie. Es kooperiert mit Schulen, der Industrie- und Handelskammer und über 200 Unternehmen. Diese Zusammenarbeit führt zu Lehrerfortbildungen, Firmenbesuchen und Projekttagen.
Bei regelmäßigen Vorträgen und Veranstaltungen geht es neben der Digitalisierung um weitere aktuelle Herausforderungen der Industriegesellschaft. Dazu gehören beispielsweise die Themen Nachhaltigkeit und Energiewende.
Mehr zum Thema »Repräsentieren und Produzieren in Ost-Berlin« erfahren Sie in den Meilensteinen der Industriekultur.
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Goerzallee 313
14167 Berlin-Lichterfelde
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Goerzbahn
AG Märkische Kleinbahn e.V.
Mit der Gründung der Zehlendorfer Eisenbahn und Hafen AG (ZEUHAG) möchte der Investor Neuburger 1904 seine Gewerbeflächen im neuen Schönower Industriegebiet entwickeln. Ein Jahr später rollen bereits die ersten Züge zwischen dem Zehlendorfer Stichkanal und dem Bahnhof Lichterfelde West – gezogen von Pferden. Die Pferdebahn schafft Bau- und Rohmaterialien zu den Betrieben und nimmt auf dem Rückweg deren Produkte mit, zum Beispiel aus der Elberfelder Papierfabrik. Erst ab 1915 ziehen Dampfloks die Züge der Goerzbahn.
1918 bezieht die Optische Anstalt C. P. Goerz ihr neues Werk in Schönow und übernimmt die ZEUHAG. Neben Bau- und Rohstoffen befördert die 45 km/h schnelle Goerzbahn jetzt auch die eigenen Mitarbeiter. In der Hochzeit um 1922 sind es fast 1 Million Passagiere im Jahr. Nach dem Zweiten Weltkrieg transportiert die Industriebahn Materialien für die US-Armee und Volkswagen. Noch bis 2018 gehen hier Kunststoffteile für die Kölner Ford-Werke auf die Reise. Aus Rücksicht auf die Nachbarschaft fahren die Züge zuletzt nur noch mit einer lärmreduzierten Geschwindigkeit von 10 km/h.
Seit 1981 erhält der Verein AG Märkische Kleinbahn den stillgelegten Bahnhof Schönow und zeigt dort alte Schienenfahrzeuge und historische Bahntechnik. Nach dem Rückzug des letzten Betreibers der Goerzbahn sind die Eigentumsverhältnisse an der Trasse nicht abschließend geklärt. Das zwingt leider auch den Museumsbahnbetrieb des engagierten Vereins zu einer Pause.
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Goerzallee 299
14167 Berlin-Lichterfelde
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Goerzwerk
Feine Optik für grobe Geschütze
Die Goerz-Anschütz-Moment-Kamera ist eine Sensation! Zum ersten Mal überhaupt lassen sich bewegte Objekte fotografieren. Die 1890 von Optiker Carl Paul Goerz gegründete „Optische Anstalt C. P. Goerz“ steigt damit zu einem der größten Hersteller von Optik und Feinmechanik im Deutschen Reich auf. In Wien, Paris, London und New York unterhält das Unternehmen deshalb Niederlassungen.
Bald verlegt sich die „Optische Anstalt“ allerdings auf präzise Zieloptiken für das Militär. Das bringt strategische Vorteile. Goerz erhält deswegen beispielsweise bevorzugt Material und expandiert. Als das Unternehmen das Stammwerk in Berlin-Friedenau aus Platzgründen nicht mehr erweitern kann, entsteht mitten im Ersten Weltkrieg dieser großzügige Komplex. Die Verkehrsanbindung ist perfekt. Das Gelände erhält einen eigenen Bahnanschluss und einen Hafen, der über den Zehlendorfer Stichkanal mit dem Teltowkanal verbunden ist.
Im Kontrast zur historistischen Friedenauer Fabrik gestaltet der Architekt E. Emsters für das neue Goerzwerk eine streng funktionale Produktionsstätte. Die moderne Eisenbetonbauweise erlaubt eine flexible Aufteilung der Räume, das Flachdach nutzt Goerz für optische Messungen. Emsters plant von Beginn an weiteres Wachstum ein. Das Gelände wird deswegen mit einem modularen Konzept bebaut. Drei Module baut das Unternehmen, 10 weitere wären möglich gewesen.
Carl Paul Goerz avanciert zum Rüstungsproduzenten. Außerdem ist er ein moderner Firmenchef mit sozialem Bewusstsein. Schon am Friedenauer Standort hatte er den 8-Stunden-Tag sowie bezahlten Urlaub eingeführt. Den 12.000 Beschäftigten des neuen Goerzwerks in Schönow bietet er vergünstigten Wohnraum in einer eigenen Werkssiedlung.
Der Versailler Vertrag erzwingt nach dem Ersten Weltkrieg schließlich eine radikale Neuausrichtung des Unternehmens. Nach dem Tod von Goerz 1923 fusioniert sein Sohn Paul Goerz 1926 mit den Jenaer Zeiss-Werken und anderen Unternehmen zur Zeiss-Ikon AG. So rettet er das Unternehmen vor dem Konkurs. Die Produktpalette entwickelt sich hin zur Feinmechanik von Kameras, Studiotechnik und Schließanlagen. Die Firma gehört heute zum schwedischen Assa-Abloy-Konzern.
Das alte Goerzwerk wandelt sich seit 2015 in ein kreatives Gewerbezentrum für Start-ups, Manufakturen und Kultur. Außerdem engagiert sich der Verein Märkische Kleinbahn e.V. um einen Museumsbetrieb mit historischen Schienenfahrzeugen am stillgelegten Bahnhof Schönow.
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Platz d. 4. Juli
14167 Berlin-Lichterfelde
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Telefunken-Werk Zehlendorf
NS-Rüstungsfabrik wird zur Wohnanlage
In der „Telefunken Gesellschaft für drahtlose Telegrafie m.b.H.“ entwickeln die eigentlichen Konkurrenten AEG und Siemens ab 1903 gemeinsam Funk- und Nachrichtentechnik. Die Produktentwicklungen für den zivilen Bereich haben allerdings auch großen militärischen Wert. Ab den 1920er-Jahren nutzen die deutschen Streitkräfte die neuen Funk- und Navigationsgeräte, Radaranlagen und Nachrichtensender.
Nach der Machtergreifung beziehen die Nationalsozialisten die Telefunken Gesellschaft in ihre strategischen Kriegsvorbereitungen ein. Die Wehrmacht finanziert deshalb zu einem Drittel die Zusammenführung der verstreuten Produktionsstätten. So entsteht ab 1937 ein neues Werksgelände in Zehlendorf.
Der Siemens-Hausarchitekt Hans Hertlein entwirft ein sachlich-modernes Bauensemble in Stahlskelettbauweise. Schlichte Rasterfassaden und flache Dächer kleiden Werkstätten, Warenlager und Büros. Der neungeschossige Uhrenturm an der Hauptverwaltung macht das 240.000 m² große Areal von weitem sichtbar. Die riesige Asphaltfläche davor entsteht als Teil eines Stadtrings für die von Albert Speer geplante „Welthauptstadt Germania“ und wird als Aufmarschplatz genutzt. Im Zweiten Weltkrieg arbeiten in dem Werk statt der ursprünglich vorgesehenen 6.000 Menschen nun 10.000. Darunter auch hunderte von französischen und polnischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die unter elenden Bedingungen ausgebeutet werden.
Nach dem Krieg macht die US-Armee den Komplex zu einem ihrer drei Stützpunkte in West-Berlin. In den „McNair Barracks“ sind bis zu 2.300 Soldaten und Militärangehörige untergebracht. Sie leben in Mannschaftsheimen und Wohnungen. Eine Schule, eine Kirche, eine Bibliothek, Turnhallen, Läden und ein Kino bringen amerikanischen Lebensstil nach Berlin. Auf Speers unvollendetem Stadtring marschieren schließlich amerikanische GIs.
Die Firmenzentrale von Telefunken zieht 1960 in ein neugebautes Hochhaus am Ernst-Reuter-Platz. Die Architektur des „Haus der Elektrizität“ orientiert sich dem Zeitgeist entsprechend an amerikanischen Wolkenkratzern – nur nicht ganz so hoch.
1976 wird die Fläche am ehemaligen Telefunken-Werk nach dem amerikanischen Unabhängigkeitstag benannt und heißt fortan „Platz des 4. Juli“. Derzeit plant das Land Berlin, die Hälfte des Platzes als Klimaausgleichsfläche zu entsiegeln und damit das Stadtklima zu verbessern.
1994, fünf Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, zieht die US-Armee ab. Nach 2000 entstehen in der ehemaligen Kaserne Wohnungen. Einige der Hauptgebäude werden dafür mit Staffelgeschossen aufgestockt.
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Wismarer Str.
12207 Berlin-Lichterfelde
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Wissenswertes
Gedenkstätte KZ-Außenlager
Die Säule der Gefangenen
Die täglichen Arbeitskommandos aus dem KZ-Außenlager Lichterfelde bewegen sich ab Juni 1942 zu Fuß und per Bahn zu ihren Arbeitseinsätzen in Berlin. Besonders sichtbar sind die Gruppen aus Tschechen, Polen, Ukrainern, Russen sowie Norwegern, Belgiern, Niederländern, Franzosen und Griechen. Sie müssen nach den immer häufigeren Bombenangriffen zum Trümmerräumen ausrücken. Schon der Bau des KZ-Außenlagers Lichterfelde am Teltowkanal findet ganz offen vor den Augen der Bevölkerung statt. Ab Dezember 1941 errichten KZ-Häftlinge mehrere Häftlingsbaracken, Gebäude für die Lagerleitung und Wachmannschaften sowie einen Bauhof mit Materiallager, Garagen und Werkstätten. Dieses neue Außenlager des KZ Sachsenhausen soll Arbeitskräfte bereitstellen für die sogenannte „Bauleitung Groß-Berlin“.
Die 1.000 bis 1.500 inhaftierten Männer aus fast allen besetzten Ländern Europas leisten Zwangsarbeit für Ministerien, Polizei und die Schutzstaffel (SS). Auch „kriegswichtige“ Firmen wie beispielsweise Telefunken beuten die Zwangsarbeiter aus. Essensentzug, Prügelstrafe und willkürliche Tötung durch die SS-Wachmannschaften gehören zum Lageralltag. Die meisten Häftlinge kommen erst im April 1945 bei der Auflösung des KZ-Außenlagers Lichterfelde zu Tode. Nach dem Abtransport ins Stammlager Sachsenhausen werden die Menschen von dort zu Fuß zur Ostsee getrieben. Viele von ihnen sterben während dieses Todesmarsches. Die SS plant, die noch Lebenden auf Schiffen in der Ostsee zu ertränken. Alliierte Truppen können immerhin das verhindern.
Das KZ-Außenlager Lichterfelde gelangt erst Jahrzehnte später wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, als bei Bauarbeiten Zeugnisse aus der Lagerzeit gefunden werden. Seit dem Jahr 2000 erinnert die „Säule der Gefangenen“ des Bildhauers Günter Oeller an das Schicksal der Zwangsarbeiter in Lichterfelde. Die Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde e. V. veranstaltet dort an jedem 8. Mai eine Gedenkfeier und ein Treffen für alle, die sich in der lokalen Erinnerungsarbeit engagieren möchten.
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Ostpreußendamm 61
12207 Berlin-Lichterfelde
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Wissenswertes
Heizkraftwerk Lichterfelde
Modernisiert für die Energiewende
Auch die Bezirksbürgermeisterin kommt zur Einweihung, als 2020 das neue Heizkraftwerk Lichterfelde ans Netz geht. Mit regionalem Apfelsaft stößt sie mit den Anwohnerinnen und Anwohnern auf eine nachhaltige Zukunft an. Es ist ein klares Signal: Berlin strebt bis 2045 die Klimaneutralität an. Der teilweise Neubau des Kraftwerks durch den Betreiber Vattenfall ist ein wichtiger Baustein der Energiewende. Das neue Gas- und Dampfturbinen-Heizkraftwerk produziert in Kraft-Wärme-Kopplung vor allem Fernwärme, aber auch Elektrizität für rund 100.000 Haushalte im Berliner Südwesten. Es verfeuert dafür zwar immer noch Erdgas, senkt seinen CO2-Ausstoß aber um 170.000 Tonnen pro Jahr.
Den ersten Kraftwerksbau errichtet die BEWAG hier von 1970 bis 1972. Der Standort am Hafen Lichterfelde, unmittelbar am Teltowkanal gelegen, ist nicht zufällig gewählt. Denn Schiffe liefern das Schweröl, das damals in drei Kraftwerksblöcken verfeuert wird. Anfang der 1970er-Jahre wird der Hafen zum Kraftwerkshafen umgebaut. Die den Stichhafen abtrennende Landzunge verschwindet schließlich. Ohne sie kann das Kühlwasser einfacher ins Kraftwerk geleitet werden.
Die BEWAG modernisiert das Heizkraftwerk Lichterfelde mehrfach. 1983 erhält die Anlage beispielsweise eine erste Rauchgasentschwefelung. Zwischen 1988 und 1998 stellt das Unternehmen alle drei Blöcke von Schweröl auf Erdgas um. Statt der bisherigen Anlieferung des Öls per Schiff strömt das Gas nun über eine Festleitung ins Kraftwerk. Der einstige Kraftwerkshafen verliert somit seine Funktion. Fortan dient er einem Recyclingunternehmen als Verladestelle.
Ab 2012 wird das alte Kraftwerk abgerissen. Der damalige Eigentümer Vattenfall errichtet am Standort ein modernes Heizkraftwerk mit effizienter Kraft-Wärme-Kopplung, das 2020 ans Netz geht. Zwei Kühltürme sowie das Verwaltungs- und Sozialgebäude des historischen Kraftwerks sind in die neue Anlage integriert. Heutiger Betreiber ist die BEW Berliner Energie und Wärme AG. Die hier produzierte Fernwärme speist die BEW durch zwei gut sichtbare Rohre über den Kanal hinweg in das Berliner Wärmenetz ein. Die drei markanten Schornsteine des alten Kraftwerks werden bis 2026 rückgebaut und verschwinden letztlich aus der städtischen Silhouette.