Industriegeschichte in Schöneweide

Schöneweide, zunächst für die Berliner Bevölkerung ein Ausflugsziel ins Grüne, wird ab 1895 für fast 100 Jahre wichtiger Drehpunkt der Berliner Industrie.

In den 1870er-Jahren sind Ober- und Niederschöneweide abgesehen von einigen Färbereien von Grün umgeben, eine Schöne Weide eben. Es siedeln sich große Gaststätten, Restaurants und Biergärten mit eigenen Anlegestellen für Dampfer an. Ruderklubs und Freibäder beleben die Berliner Ausflugs- und Erholungsszene.

Ausgewählte historische und akutelle Bilder geben Einblicke in das Geschehen in Schöneweide. Entdecken Sie auf dieser Seite verschiedene Orte der Industriekultur entlang der Spree: von der Schweinemästerei über die Poliklinik bis zum Kulturhaus.

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Eine Zeitreise in Schöneweide von 1896 bis 1999

Zwei neue Wasservelocipede auf der Oberspree bei Berlin, 1897. | © SDTB, Historisches Archiv

Dies ändert sich allerdings ab den 1880er-Jahren. Nach und nach erschließen industrielle Großbetriebe die Gebiete an der Spree. Dienen die Ausflugslokale und Bäder erst noch der Erholung der Arbeiterschaft, müssen sie bald der wachsenden Industrie weichen. Ausflugsdampfer machen Platz für Lastenkähne. Nur die Ruderclubs schaffen es, sich in die Welt der Firmen zu integrieren und überdauern so zum Teil bis heute.

Rund hundert Jahre später blickt Schöneweide nach der Wiedervereinigung in den 1990er-Jahren in eine unsichere Zukunft. Samsung übernimmt das große Werk für Fernsehelektronik (WF). Nach massiven Lohndumping-Protesten und Entlassungswellen schließt das Werk allerdings 2005 dauerhaft. Andere Betriebe verkleinern sich und wirtschaften weiter. Nur der Batteriehersteller BAE besteht bis heute und bringt seine Batterien weltweit auf den Markt.

Mit der Ansiedlung der Hochschule für Technik und Wirtschaft im Jahr 2009 bekommt das riesige Gelände des ehemaligen Kabelwerks Oberspree (KWO) einen neuen Nutzen. Der Ort erhält seinen Forschungs- und Entwicklungscharakter zurück, wie einst vor über 100 Jahren.

Andere Gelände verfallen, werden von der Natur zurück erobert oder mit Wohnungen bebaut. All dies führt heute zu einem sehr diversen Stadtraum, der Geschichten an allen Ecken erzählt, die jedoch selten auf den ersten Blick zu erkennen sind.

Entdecken Sie auf dieser Seite anhand von vorher-nachher Bildern, wie sich Schöneweide in den letzten 130 Jahren gewandelt hat. Einiges ist vollkommen verschwunden, doch an so manchem Ort hat sich erstaunlich wenig verändert.

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  • Chemie-Fabrik Kanne
    Chemie-Fabrik Kanne
    Bilck auf den Parkplatz des ehemaligen Kunheim-Geländes im Jahr 2023.Historische Aufnahme vom Eingang zum Werk Kanne aus dem Jahr 1951.
    1951: Eingang zum Werk Kanne. 2023: Heute befinden sich andere Gewerke auf dem Gelände. | © Landesarchiv Berlin, Foto: O. Puhlmann; © bzi, Foto: Thomas Rosenthal
    Chemie-Fabrik Kanne um 1880
    Zeichnung des preußischen Militärt in den Farben "Berlin Blau"
    Malerei: Wohnzimmer der Villa Kunheim in Berlin-Wannsee
    Zeichnung der Schwefelsäurefabrik um 1880. | © Architekturmuseum TU Berlin, Inv. Nr. GK 302,011
    Adresse

    Schnellerstraße 141
    12439 Berlin-Niederschöneweide

    Industriekultur erleben

    Industriegeschichte Schöneweide

    Chemie-Fabrik Kanne

    In Ober- und Niederschöneweide etablieren sich im 20. Jahrhundert viele Produktionszweige. Dazu gehört beispielsweise die Produktion von Kabeln (KWO), Strom (Kraftwerk Oberspree), Autos (NAG), Traktoren (Stock Motorpflug) und ein führender Kassenblöcke- und Kinotickets-Produzent (Paragon). Ein weiterer wichtiger Zweig ist die chemische Produktion.

    Die Fabrik Chemischer Produkte Kunheim & Co. Niederschöneweide legt den ersten Baustein 1871 und gehört damit zu einer der ersten und schließlich größten Firmenkomplexe in Schöneweide. Aufgrund seiner Lage am damaligen Rinnsal Kanne nennt der Volksmund das Unternehmen häufig Chemie-Fabrik Kanne. Im Adressbuch „Berlin und seine Umgebungen“ von 1899 ist Kunheim mit der Fabrikation von „Säuren und Salze, Ammoniak“ gelistet.

    Die Firma stellt aus Cyanid die Farbe „Berliner Blau“ her, berühmt beispielsweise als Farbe der Militärkleidung Preußens. Die hochgiftigen Abfälle leitet das Unternehmen kurzerhand in die Spree ab, sehr zum Leidwesen der damals noch großen Naturflächen. Im Jahr 1900 erreicht daraufhin Dr. Erich Kunheim ein kaiserliches Schreiben mit Umweltauflagen, da die Bäume der Kaiserforste nahe Schöneweide leiden.

    Gegenüber baut Erich Kunheim ab 1907 das Kohlensäurewerk Oberspree, das nun aus den chemischen Reststoffen der Fabrik Kanne Kohlensäure produziert. 1928 fusioniert das Unternehmen mit den Kali-Werken Sachsen-Anhalt, wonach der Name in die Kali-Chemie AG aufgeht.

    Da die Erde mit Arsen, Cyanid, Quecksilber und Blausäure-Salz belastet ist, wird das Gelände 1993 als Altlast gekennzeichnet und daraufhin die Fabriken abgerissen. Das Kohlensäurewerk verschwindet 2007 nach fast 100 Jahren. Heute verwittert der Großteil des kunheimschen Geländes und ist eine Brachfläche. Überdauert hat lediglich das ehemalige Verwaltungsgebäude (im Foto nicht sichtbar). Im Verwaltungsbereich befindet sich heute wieder ein Farbhandel.

  • Schweinemästerei in der Transformatorenfabrik
    Schweinemästerei in der Transformatorenfabrik
    Blick auf die Rathenau Hallen, ehemals Schweinemästerei im TransformatorenwerkHistorische Aufnahme des VEB Transformatorenwerks, Eingang zum Werk mit Schweinemästerei.
    1958: Blick auf das Transformatorenwerk mit Schweinemästerei. 2023: Heute nutzen verschiedene Gewerbe die Hallen. | Bundesarchiv, Bild 183-57649-0003 / CC-BY-SA 3.0; © bzi, Foto: Thomas Rosenthal
    Blick in den Schweinestall der Transformatorenfabrik, 1951. Mann füttert Schweine.
    Der Schweinestall der Transformatorenfabrik von außen, 1951.
    Feierliche Umbenennung der Transformatorenfabrik in „Karl Liebknecht“
    52 Schweine werden im Schweinestall der Transformatorenfabrik gehalten, 1951. | © SDTB, Historisches Archiv
    Adresse

    Wilhelminenhofstraße 83
    12459 Berlin-Oberschöneweide

    Industriekultur erleben

    Industriegeschichte Schöneweide

    Schweinemästerei in der Transformatorenfabrik

    Die heutigen Rathenau-Hallen wechseln seit 1898 beständig ihren Namen. Zu dieser Zeit noch Maschinenfabrik Oberschöneweide genannt, gehören sie 20 Jahre später zur AEG und sind Teil der Transformatorenfabrik Oberschöneweide (TRO).

    Ab 1945 untersteht das Werk der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD). Im Oktober 1950 schlägt ein Mitarbeiter vor, dass die Werkskantine eine eigene Schweinemästerei aufbaut. Unter anderem sollen so Küchenabfälle verwertet werden. Die Betriebszeitung des Werks für Fernsehelektronik „HF-Sender“ (Hochfrequenz-Sender) vom Oktober 1950 berichtet ausgiebig darüber. Der Vorschlag wird angenommen und die Mästerei erscheint schon im Folgejahr im Werksfotoalbum. Drei Jahre später gibt die TRO 100.000 (Ost-) Deutsche Mark für die Verbesserung des Mittagessens aus. Zu dieser Zeit beherbergt die neue Schweinemästerei 52 Tiere.

  • AEG Gummifabrik
    AEG Gummifabrik
    HTW Berlin Campus WilhelminenhofBlick auf die ehemalige Gummifabrik. Das Foto entstand zwischen 1922-44.
    1922-1944: Blick auf die Gummifabrik. 2023: Lediglich die Gebäude im Hintergrund sind noch erhalten, heute Gebäude C der HTW Berlin. | © SDTB, Historisches Archiv; © bzi, Foto: Jannis Petersen
    Zerstörte Gebäude auf dem AEG Gelände der KWO im Januar 1944
    Zerstörte Gebäude auf dem AEG Gelände der KWO im Januar 1944. | © SDTB, Historisches Archiv
    Adresse

    Wilhelminenhofstraße 75A
    12459 Berlin-Oberschöneweide

    Industriekultur erleben

    Industriegeschichte Schöneweide

    AEG Gummifabrik

    Die Fabriken auf dem Gelände des Kabelwerks Oberspree stellen von 1895 bis zur Wiedervereinigung unterschiedliche Produkte her, darunter Kabel, Kabeltrommeln, Gummi, Kupferdraht und Autos. Es ist nicht nur eines der ersten und größten Gelände in Oberschöneweide, sondern auch eines der wenigen, die über fast 100 Jahre hinweg eine durchgängige Produktion aufweisen.

    Das Bild zeigt einen Teil der AEG Gummifabrik vor dem 27.01.1944. Alle Industriestandorte in Schöneweide haben sich in beiden Weltkriegen an der Kriegsproduktion beteiligt und fast alle Geländekarten ab 1943 zeigen Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.

    Der Strukturwandel in Schöneweide ist auf dem Gelände sichtbar. Zerstörte Gebäude werden nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. Marode Gebäude müssen wiederum in den 1990er-Jahren endgültig weichen. Schornsteine, Schienen und Kohle verschwinden. Dafür entstehen Grün- und Erholungsflächen. Das Land Berlin sucht ab den 1990er-Jahren nach neuen Möglichkeiten für das Gelände. Die riesigen Komplexe füllen sich wieder mit Leben, als am 1. Oktober 2009 die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Berlin) einzieht. Die ehemalige AEG Gummifabrik beherbergt heute Räume der Hochschule.

  • Wohlfahrtsgebäude und Kulturhaus
    Wohlfahrtsgebäude und Kulturhaus
    Autos parken vor dem ehemaligen und verfallenen Wohlfahrtsgebäude in der Wilhelminenhofstraße.Historische Aufnahme des Kulturhauses in der Wilhelminenhofstraße im Jahr 1958.
    1958: Ansicht des Wohlfahrtgebäudes in der Wilhelminenhofstraße. 2023: Noch steht das Gebäude leer, doch erste Maßnahmen haben begonnen. | © Bundesarchiv 183-57649-0001, Foto: Novack; © bzi, Foto: Max Braun
    Wohlfahrtsgebäude an der Wilhelminenhofstraße 1938
    Waschraum im Wohlfahrtsgebäude 1938
    Klubhaus VEB Transformatorenwerks
    Das Wohlfahrtsgebäude an der Wilhelminenhofstraße 1938 | © SDTB, Historisches Archiv
    Adresse

    Wilhelminenhofstraße 66–70
    12459 Berlin-Oberschöneweide

    Industriekultur erleben

    Industriegeschichte Schöneweide

    Wohlfahrtsgebäude und Kulturhaus

    Das markante, jedoch heute verlassene Kulturhaus in der Wilhelminenhofstraße 66–70 zieht unwillkürlich Blicke auf sich.

    1911 gibt die Akkumulatorenfabrik AG (AFA) ein Gebäude in Auftrag, das als soziale Einrichtung für die Werktätigen dienen soll. Architekt Felix Lindhorst errichtet das Wohlfahrtsgebäude 1912–1913. Im Erdgeschoss befindet sich ein Umkleide- und Waschraum, der Speisesaal ist im Obergeschoss untergebracht. Erstmalig taucht das Gebäude 1913 im Geländeplan der AFA-Festschrift auf. Zu diesem Zeitpunkt bebaut die AFA auch den Großteil des übrigen Geländes.

    Ab 1950 nutzt das Werk für Fernsehelektronik das Gebäude und benennt es um in Kulturhaus. Dort finden nun verschiedene Veranstaltungen statt.

    Vergleichbar mit dem Kulturhaus ist das etwas weiter südlich gelegene Klubhaus des Transformatorenwerks in der Wilhelminenhofstraße 83–85. Hiervon ist heute nur noch der Eingangsbereich erhalten, das Gebäude aber ist modernisiert und aufgestockt.

  • Lärm- und Luftbelastung
    Lärm- und Luftbelastung
    Blick über die Spree mit blauem Himmel nach Oberschöneweide.Historische Aufnahme von 1923. Blick von Niederschöneweide nach Oberschöneweide über die Spree. Im Wasser fährt ein Motorboot, im Hintergrund rauchen die Schornsteine.
    1923: Die Lärm- und Luftbelastung ist Anfang des 20. Jahrhundert hoch in Schöneweide. 2023: Heutzutage sind die Schornsteine nur noch Zierde am Himmel. | © Ullstein Bild, 10168327; © bzi, Foto:Thomas Rosenthal
    Besuch der Senatorin für Stadtentwicklung und Umweltschutz Schöneweide
    Besuch der Senatorin für Stadtentwicklung und Umweltschutz Dr. Michaele Schreyer, 1990 | © Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (03) Nr. 0368948 / Foto: Platow, Thomas
    Adresse

    Wilhelminenhofstr. 78
    12459 Berlin-Oberschöneweide

    Industriekultur erleben

    Industriegeschichte Schöneweide

    Lärm- und Luftbelastung

    Die Bevölkerung Schöneweides hat bis in die 1990er-Jahre mit Luft- und Lärmbelastungen zu ringen. Das geht aus Studien hervor, die sich mit dem wiedervereinigten Berlin der 1990er-Jahre und seinen Herausforderungen beschäftigen. Ober- und Niederschöneweide sind wie viele andere Stadtteile auch staatlich geförderte Sanierungsgebiete. So werden bei einer Einwohnerbefragung Mitte der 1990er-Jahre unter anderem die schweren Transporte hervorgehoben, wodurch „die Erde bebt“. Auch der Rauchausstoß und Ruß durch die Schornsteine werden als besondere Belastungen betont (Anja Stichs „Wohngebietserneuerung unter Einbindung der Bewohner“, 2003).

    Im Bild zu sehen ist die Centrale Oberspree, später Kraftwerk Oberspree. Der Bau beginnt 1895, zwei Jahre später geht das Kraftwerk in Betrieb. Dieses erste Drehstromkraftwerk Europas erstreckt sich entlang der Wilhelminenhofstraße, die noch immer eine wichtige Verkehrsachse Oberschöneweides ist.

    Das Kraftwerk steht heute noch am selben Ort, allerdings in neuer Funktion. Obwohl es schon 1933 die Produktion einstellt, ist das Schornsteinpanorama heute ein Symbol des Wandels: Vom einstigen Stern der Produktion zum Verschmutzer. Doch nicht nur die Industrie verschmutzt die Luft im Ort, denn 1995 heizen noch 85% der Wohnungen in Oberschöneweide mit Kohle („Wohngebietserneuerung“, S.102).

  • Trommelfabrik
    Trommelfabrik
    Leere Straße neben der ehemaligen Bärenquell-Brauerei in Schöneweide.Lagerplatz der Trommelfabrik im Jahr 1990
    1990: Lagerplatz der Trommelfabrik. 2023: Heute befindet sich eine Straße auf der ehemaligen Lagerfläche. | © SDTB, Historisches Archiv; © bzi, Foto: Thomas Rosenthal
    Eingang zur KWO Trommelfabrik
    Eingang zur Trommelfabrik, 1990 | © SDTB, Historisches Archiv
    Adresse

    Schnellerstraße 135–136
    12439 Berlin-Schöneweide

    Industriekultur erleben

    Industriegeschichte Schöneweide

    Trommelfabrik

    Auf dem Gelände zwischen Treskowbrücke und Stubenrauchbrücke sind um 1900 drei Großbetriebe ansässig. Die Borussia-Brauerei (später Schultheiss-Brauerei) ab 1882, die Tuchfabrik Müller entsteht noch vor 1895, ab den 1920er-Jahren agiert sie als Vereinigte Märkische Tuchfabriken AG. Die Deutschen Messingwerke siedeln sich spätestens ab 1899 an und die Englische Gasanstalt ab 1906. Um 1929 kommen die Metallwerke Kretzer und Busse hinzu, die Gasanstalt weicht den wachsenden Messingwerken. Im Zweiten Weltkrieg werden die Metallwerke Kretzer und Busse nahezu vollständig zerstört, ebenso die Tuchfabriken sowie der Arbeiterwaschraum der Messingwerke.

    Auf dem freigewordenen Platz siedeln sich nun die Kabelwerke Oberspree (KWO) direkt neben der Schultheiss-Brauerei an. Zuvor hatten sie Kabeltrommeln auf dem Werksgelände in Oberschöneweide produziert. Nach Schäden im Zweiten Weltkrieg verlegen sie die Trommelproduktion nach Niederschöneweide. Für die nächsten fast 50 Jahre entsteht hier ein dominierender Ort der Kabeltrommelproduktion.

    Ab 1992 wird das riesige Gelände mit seinen verschiedenen Fabriken nach und nach abgerissen. 2006 stehen als letzte noch die Ruinen der Trommelfabrik, ehe auch diese abgerissen werden. Heute befinden sich auf dem Gelände ein Möbelhaus und ein Sporthandel. Nur das benachbarte Areal der ehemaligen Brauerei besteht noch heute und erleichtert das Verorten von historischen Fotos der Trommelfabrik.

  • Kantine Kabelwerk Oberspree
    Kantine Kabelwerk Oberspree
    Das Kraftwerk Oberspree in der Wilhelminenhofstraße. Das einsitige Casino verfällt.1923 streiken Arbeiter vor dem Casino des Kraftwerks Oberspree
    1923: Die Belegschaft des KWO versammelt sich beim Streik am 03.11.1923 vor der Kantine. 2023:Blick auf die heutige Fassade des Gebäudes. | © Ullstein Bild, 10168328; © bzi, Foto: Thomas Rosenthal
    Kantine AEG KWO, Industriesalon Schöneweide
    Borsig Kantine Speisesaal Tegel
    Borsig Kasino Tegel Billard
    Im Giebel des Speiselsaals wacht eine Galionsfigur über die Belegschaft. | © Industriesalon Schöneweide, ohne Jahr
    Adresse

    Wilhelminenhofstraße 76
    12459 Berlin-Oberschöneweide

    Industriekultur erleben

    Industriegeschichte Schöneweide

    Kantine Kabelwerk Oberspree

    Die AEG errichtet für ihre Belegschaft des Kabelwerks Oberspree 1899 eine Kantine. Diese tritt in historischen Dokumenten auch als Casino auf, was die Bezeichnung als allgemeiner Pausenort bestärkt, der nicht nur zum Essen da ist.

    Typisch ist die Raumtrennung zwischen Werks- und Beamtenkasino. Die Raumtrennung der AEG-Kantine ist nur noch auf Architekturzeichnungen und Karten dokumentiert. Als Vergleich lohnt der Blick auf andere Betriebe in Berlin. Zum Beispiel die Borsig-Werke in Tegel: Das abgetrennte Beamtencasino etwa hat ein Billardzimmer sowie eine Bibliothek für die Beamten, also Personen in Leitungspositionen. Die übrige Belegschaft muss sich hingegen mit einem großen Speisesaal abfinden.

    Die Speisesäle sind geprägt vom Stil der jeweiligen Firmenästhetik. Bei Borsig sind beispielsweise die großen runden Stahlträger unverkennbar. Im Speisesaal der AEG-KWO-Kantine hingegen steht die Galionsfigur der AEG hoch oben im Giebel und wacht über die Belegschaft.

  • Umschlagplatz Niederschöneweide
    Umschlagplatz Niederschöneweide
    Ehemalger Umschlagplatz in Niederschöneweide mit Blick auf die SpreeHistorisches Foto um 1955: Umschlagplatz in Niederschöneweide
    1960: Umschlagplatz mit Kai am Spreeufer. 2023: Heute wächst Gras auf der ehemaligen Lagerfläche. | © SLUB/Deutsche Fotothek, Foto: Richard Peter (junior); © bzi, Foto: Thomas Rosenthal
    Schwarz-weiß Bild um 1955. Ein Arbeiter am Umschlagplatz in Schöneweide verlädt Ziegelsteine mit einem Kran an der Spree.
    Schwarz-weiß Foto um 1955. Ziegel werden von einem Kran in die Spree herabgelassen und genässt.
    Ein Arbeiter hilft bei der Ziegelverladung. | © SLUB/Deutsche Fotothek, Foto: Richard Peter (junior), um 1955
    Adresse

    Schnellerstraße 88-90
    12439 Berlin-Niederschöneweide

    Industriekultur erleben

    Industriegeschichte Schöneweide

    Umschlagplatz Niederschöneweide

    1895 eröffnet das Restaurant Kyffhäuser am Ufer der Spree in Niederschöneweide. Die beliebte Gaststätte hat sogar einen eigenen Anlegeplatz für Ausflugsdampfer. In Karten ist das Gelände östlich des Restaurants ab 1905 als Ablage markiert. Schöneweide wandelt sich zu dieser Zeit von einem Ausflugsziel zur Industriestätte. Ein „Lageplan […] der Grundrenten Gesellschaft an der Oberspree Berlin“ von 1895 zeigt zwölf Anlegestellen in Schöneweide. Ein Großteil davon dient damals den wachsenden Produktionsstandorten. Doch nicht nur Güter wie Kupfer und Kohle verkehren auf der Spree. Bis zum Bau des Kaiserstegs 1900 muss die Belegschaft der Fabriken täglich mit Fähren über den Fluss setzen.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg betreibt der VEB Montagebau Berlin (MBB) den Ablageplatz. Ab nun trägt er offiziell den Namen Umschlagplatz beziehungsweise Zwischenlager. Ab den 1950er-Jahren ergänzt ein Turmdrehkran das Gelände.

    Am 1. Januar 1976 fusionieren der VEB Montagebau und VEB Dynamo-Bau Berlin (DBB) zu VEB Spezialhochbau Berlin mit Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Heute ist das Gelände des Umschlagplatzes in Niederschöneweide zur Hälfte von einem Getränkehandel und einem Discounter bebaut. Die andere Hälfte ist eine große Grün- und Brachfläche, die nur mithilfe von Fotos an die ehemalige Betriebsamkeit erinnert.

  • Poliklinik Oberspree
    Poliklinik Oberspree
    Wohngebäude am ehemligen Standort der PoliklinikPoliklinik in der Steffelbauerstraße im Jahr 1961. Davor parkt ein Auto.
    1961: Frontansicht der Poliklinik in der Steffelbauerstraße. 2023: Heute befindet sich hier ein Wohnhaus. | © Industriesalon Schöneweide, Foto: Unbekannt; © bzi, Foto: Thomas Rosenthal
    Patienten bei einer Therapie in der Poliklinik Oberspree, um 1978
    Patienten bei einer Therapie in der Poliklinik Oberspree. | © Kurt Schwarz, um 1978
    Adresse

    Steffelbauerstraße 16
    12459 Berlin-Schöneweide

    Industriekultur erleben

    Industriegeschichte Schöneweide

    Poliklinik Oberspree

    Nach dem Zweiten Weltkrieg liegt die Verwaltung des Industriegebiets Schöneweide bei der Sowjetischen Militäradministration (SMAD). Diese ordnet 1948 an, eine Betriebs-Poliklinik in Oberschöneweide einzurichten. Sie soll „zur Verbesserung der Lage und Lebensbedingungen“ der Arbeiterschaft führen. Außerdem spart die Nähe der Klinik zu den Fabriken Zeit und Wege. Die zu betreuenden Werke sind das Werk für Fernsehelektronik (WF), Progress (Film-Synchronisation), das Kabelwerk Oberspree (KWO) und die Akkumulatorenfabrik Oberschöneweide (AFA).

    1949 eröffnet die Klinik in der ehemaligen Direktionsvilla des KWO und bekommt den Namen Poliklinik Oberspree. Die Versicherungsanstalt Berlin (VAB) stellt die medizinischen Instrumente. Sie richtet außerdem neun Stationen und fünf Nebeneinrichtungen ein.

    Laut Werkszeitung „WF Sender“ vom 28.02.1969 soll die geografische Nähe der Klinik außerdem dabei helfen, Vorurteile und Misstrauen der Belegschaft gegenüber der Medizin zu überwinden.

    1953 geht die Verantwortung für die Klinik von der Firma AFA auf das benachbarte WF über. Eine moderne Betriebspoliklinik eröffnet 1959 in der Steffelbauerstraße, nur wenige Gehminuten nördlich der Direktionsvilla, die nun wieder als Büro genutzt wird. Die Kosten für den Bau betragen damals 1.500.000 (Ost-) Deutsche Mark.

    Der Abriss der Poliklinik erfolgt 2017 zugunsten neuer Wohnungen.

  • Berlins erster Zebrastreifen
    Berlins erster Zebrastreifen
    Zebrastreifen Schöneweide erster Fußgängerschutzweg 1952
    Zebrastreifen Schöneweide erster Fußgängerschutzweg 1952
    Zebrastreifen Schöneweide erster Fußgängerschutzweg 1952
    Zebrastreifen 1952: Parallel laufende weiße Streifen quer zur Fahrbahn und rot-weiße Leuchtpfeile mit der Aufschrift Fußgänger. | © Bundesarchiv Zentralbild-Schmidtke Me-Qu., 22.03.1952.
    Adresse

    S-Bahnhof Schöneweide
    Bundesstraße 96a
    12439 Berlin-Schöneweide

    Industriekultur erleben

    Industriegeschichte Schöneweide

    Berlins erster Zebrastreifen

    Zebrastreifen sind heute eine Selbstverständlichkeit und überall im Straßenverkehr verankert. 1952 sind sie jedoch ein absolutes Novum und ein grundlegender Eingriff in den Straßenverkehr.

    Am Übergang vor dem Bahnhof Schöneweide tummeln sich damals breite Autostreifen, Trams, Verkehrsgüterzüge, Lkws, Fahrräder und der lokale Güterzug „Bullenbahn“. Die Überquerung der Straße birgt ein hohes Unfallpotenzial für die Tausenden, die tagtäglich mit S-Bahn und Tram zur Arbeit in die Fabriken pendeln. Es ist eine Gefahrenzone, für die die Verkehrspolizei nach Lösungen sucht.

    Anfang März 1952 ist der neue Übergang zunächst durch Seitenstreifen und Beschilderung markiert. Zum „Zebrastreifen“ wird der Schutzweg erst einige Wochen nach seiner Eröffnung dank seiner noch heute üblichen weißen Streifen. Der seinerzeit revolutionäre Eingriff in den Straßenverkehr ist auf mehreren Fotos festgehalten.

    Heute ist die Schnellerstraße am Bahnhof als Stadtautobahn 96A komplett neu bebaut. Die ehemalige Lage des ersten Berliner Zebrastreifens ist nur noch durch das Michael-Brückner-Haus auf dem ersten Foto zu verorten. Die Fotos 1 und 2 sind gegenüber dem Bahnhof vom Balkon des Michael-Brückner-Hauses aus aufgenommen. Einen Zebrastreifen gibt es heute an der immer noch viel befahrenen Straßensituation nicht mehr. Aktuell befindet sich das Gelände allerdings wieder im kompletten Umbau.

Digitale Konvertierung von Karten

Historische Betriebe entlang der Spree in Berlin-Schöneweide | © bzi, Jannis Petersen

Von Mai 2021 bis April 2023 recherchiert das bzi intensiv zu Betriebsplänen und Geländekarten der ehemaligen Betriebe in Ober- und Niederschöneweide. Ziel war es, eine visuelle Datenbank der historischen Betriebe anzulegen. Während der Recherche zeigte sich, dass ein Großteil der Karten in unterschiedlichen Berliner Archiven verstreut ist.

Um die historische Entwicklung des Stadtgebiets nachvollziehen zu können, verwendet das bzi das Geoinformationstool QGIS. Dieses Tool hilft dabei, Pläne durch Georeferenzieren akkurat in ihrem historischen Standort einzubinden. Durch Überlagern und Nebeneinanderlegen der kontinuierlich wiederentdeckten Pläne ergibt sich ein Gesamtbild – in diesem Fall von 1895 bis 2020.

Historische Luftbilder füllen die entstandenen Lücken. Aus den georeferenzierten Plänen haben wir die ehemaligen Gebäudestrukturen in Polygone umgewandelt. Die Polygone existieren in einer eigenen Datenbank und sind durch Metadaten verknüpft. Durch gezielte Abfragen lassen sich so einzelne Fragestellungen klären.

Eine Erkenntnis der Visualisierung ist beispielsweise, dass die Unternehmen ihre Kantinen häufig als Repräsentativ-Bauten zur Straßenseite hin errichteten. Direktorenvillen hingegen sind durch Parkanlagen vom restlichen Geschehen getrennt.

Die Recherche brachte auch Unerwartetes zum Vorschein, wie beispielsweise bisher wenig beachtete Streiks und historische Fotos sowie behördliche Akten zur Wasserverschmutzung durch Chemiewerke. Als Projektabschluss zeigen wir hier eine Auswahl an Fotos, die die Vielfalt der historischen und sozialen Ereignisse in Schöneweide verdeutlichen.

Vortrag zum Prozess der Transformation in Oberschöneweide

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Weitere Informationen

Aufnahme zum Beitrag von Jannis Petersen in der Vortragsreihe
„Transformation processes of industrial areas“.
Gastgeber: Imagina un Bulevar (Oviedo, Spanien), am 07.10.2021.

Kontakt

Jannis Petersen

Projekt Standortforschung Schöneweide
E-Mail